Salutogenes Coaching – was ist das?

„Jeder Tag des Lebens hat seine eigene Entwicklungsaufgabe – vom ersten bis zum letzten.“

Lawrence LeShan

Was tut mir gut, was nicht? Tief im Innern können wir unterscheiden, ob Situationen, Beziehungen usw. uns aufbauen oder bedrohen. Den konstruktiven nähern wir uns an, die destruktiven wehren wir ab. Wir verfügen dazu über drei grundlegende, neurophysiologisch verankerte motivationale Systeme: Annäherungs-/Appetenzsystem, Abwendungs-/Aversionssystem und Kohärenzsystem. Das übergeordnete Bedürfnis ist das nach Kohärenz. Wir haben einen Sinn dafür, was für uns stimmig ist, und streben nach stimmiger Verbundenheit. Unser Kohärenzgefühl ist die Grundlage unserer Selbstregulation. So können wir immer wieder eine gesunde, heilsame Entwicklung anstoßen.

Allerdings kann es Situationen geben, in denen wir uns festgefahren oder sogar regelrecht erstarrt fühlen. Wir sehen keinen Ausweg, kreisen immer wieder um die gleichen Probleme und Gedanken, neigen vielleicht zu Verhaltensmustern, mit denen wir uns selbst schaden. Die Gründe können vielfältig sein: zum Beispiel schwierige Bedingungen in der Familie oder Paarbeziehung, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft usw. – aber auch frühere Erlebnisse oder sogar unbewusste Prägungen aus dem System unserer Herkunftsfamilie, die in der aktuellen Lage mitspielen. Manchmal kann sich eine anhaltende, ungelöste Unstimmigkeit auch in einer Krankheit ausdrücken.

In solchen Situationen kann Salutogene Kommunikation dazu beitragen, die Selbstregulation wieder anzuregen und „die Melodie des eigenen Lebens zu finden“ (oder wiederzufinden), wie der Psychotherapeut Lawrence LeShan es formuliert hat. Das Wesentliche ist in uns vorhanden – wir können unsere eigenen Heiler sein, brauchen dafür aber manchmal eine Art Katalysator. Das salutogene Coaching ist eine solche Hilfe zur Selbsthilfe.

Der salutogene Dialog

Im Mittelpunkt steht der Dialog zwischen Coach und KlientIn. In ihrer Begegnung wird ein Resonanzraum aufgebaut, in dem beide kooperieren und eine geteilte Intentionalität – ein gemeinsames Wollen – entwickeln: eine stimmige Lösung für das eingebrachte Anliegen. In der Erzählung des Klienten oder der  Klientin wird deutlich, wo die Dinge nicht so sind, wie er/sie sich das eigentlich wünscht, welche dieser Probleme so bedeutend sind, dass die gelöst werden sollen, und bei welchen das wahrscheinlich auch möglich ist.

Der Coach hilft dem Klienten, seine Bedürfnisse, seine Wünsche zu erspüren und Zielbilder zu entwickeln – Attraktiva (abgeleitet von „Attraktoren“, einem  wichtigen Begriff aus der Chaostheorie), bezogen auf das konkrete Problem, vielleicht aber auch darüber hinaus weisend. Der Blick bleibt somit nicht bei der Entstehung des Problems hängen, sondern richtet sich nach vorn: was will, darf, kann ich erreichen und dazu verändern? „Der Sog der Zukunft ist stärker als die Schubkraft der Vergangenheit“ – dieser Satz, der dem berühmten Mathematiker Leonhard Euler zugeschrieben wird, ist ein Grundtenor der Salutogenen Kommunikation.

Die Attraktiva, die in einem guten Kontakt mit unseren Bedürfnissen Gestalt annehmen, schaffen die Motivation zum Handeln. Im weiteren Verlauf wird besprochen, wie der/die KlientIn sich ihnen annähern kann: Welcher Weg könnte passen? Was brauche ich dafür? Was kann ich schon, was muss ich mir noch aneignen? Wer kann mir dabei helfen?  Gibt es weitere innere und äußere Ressourcen, die mich dabei unterstützen? Wie könnte eine Lösung aussehen? Vielleicht verknüpft mit dem Versuch, mögliche Handlungsschritte schon einmal zu imaginieren. Das tatsächliche Handeln und seine Ergebnisse werden dann später wieder zum Gegenstand des Dialogs. Der/die KlientIn kann zusammen mit dem Coach das Erreichte überprüfen, bewerten, daraus lernen und sich entscheiden,  Wege und Ziele weiter zu verfolgen oder auch zu korrigieren.

Bleibt der Klient bei seinen Handlungsversuchen immer wieder stecken, können wir auch den Blick auf die Psychodynamik lenken. Indem wir den biografischen Kontext anschauen, in denen solche Muster entstanden  sind, und ihn in Bezug zu der heutigen Wirklichkeit setzen, kann der Klient in seinem gegenwärtigen Fühlen, Denken und Handeln vielleicht ein Stück freier werden.

Im salutogenen Gespräch versuchen wir, alle Dimensionen zu berücksichtigen, mit denen wir stetig in Resonanz sind: unsere persönlichen Körperempfindungen, Emotionen, Gedanken und Glaubenssysteme, unsere Beziehungen wie auch die Bedingungen unserer Umgebung. All diese Faktoren wollen wir möglichst so (mit)gestalten, dass sie  gesundheitsförderlich wirken. In all diesen Dimensionen kann Heilung – im umfassenden Sinn – stattfinden.

Mit der Einbeziehung der Bedingungen – im unmittelbaren Lebensumfeld ebenso wie in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Ethik usw. – geht die Salutogenese über andere Ansätze (wie etwa die Resilienzforschung) hinaus, die vorwiegend beim Individuum verharren.

Fallbeispiel

Seit einiger Zeit hat die die ältere Abteilungsleiterin einen neuen, deutlich jüngeren Bereichsvorgesetzten. Sie stellt fest, dass sich ihre Arbeitssituation seitdem ständig verschlechtert hat. Häufig erlebt sie wechselnde, teilweise sogar widersprüchliche Vorgaben. Die Anforderungen, die er an ihre Arbeitsleistung stellt, erscheinen ihr unermesslich. Gleichzeitig beklagt sie sich über mangelnde Unterstützung. Außerdem haben beide offensichtlich sehr unterschiedliche Führungsvorstellungen.

Die Entwicklung hat sich in jüngster Zeit zugespitzt. Immer wieder kommt es zu Rollenkonflikten bis hin zu Kompetenzverletzungen, teilweise sogar Ansätzen von Mobbing. Die Zusammenarbeit wird ständig mühsamer und verleidet ihr zunehmend die Arbeit. Jetzt trägt sie sich immer öfter mit dem Gedanken, das Unternehmen zu verlassen. Allerdings sieht sie auch, dass in einem Alter Mitte 50 der Arbeitsmarkt doch sehr eingeschränkt ist. Ihre Situation erscheint ihr immer auswegsloser…

Im Coaching-Gespräch werden zunächst ihre Arbeitssituation, ihre Erwartungen, ihre Gedanken und Gefühle sowie ihr Verhalten in der Arbeitswelt erörtert. Beispielsweise wird ihr nun klar, dass einige verinnerlichte rigide Normen, kombiniert mit einem perfektionistischen Anspruch an sich selbst und andere, ihr immer wieder Steine in den Weg legen. Sie denkt und fühlt sich in die Wünsche hinein, die sie an ihr berufliches und sonstiges Leben hat und vergegenwärtigt sich, inwieweit sie das in ihrem Arbeitsverhältnis realisieren kann. Sie beschließt, zunächst zu versuchen, hier doch noch etwas zu ändern, und formuliert das Ziel, die Kooperation mit dem Vorgesetzten zu verbessern.

Anschließend werden Wege gesucht, wie sie sich diesem Ziel annähern kann. Es werden Lösungsansätze erarbeitet, wie sie klarer in ihrer Rolle bleiben und die Kommunikation konstruktiver gestalten kann. Dabei kann sie auf frühere Erfahrungen erfolgreicher Problembewältigung zurückgreifen, die ihr ihre Kompetenzen nochmals bewusst machen. Aber sie will auch einige Rahmenbedingungen adressieren und ihren Vorgesetzten durch sachliche, aber klare Artikulation ihrer Bedürfnisse und die ihrer Abteilung um Unterstützung bitten.

Die Schritte, die sie in der Praxis geht, werden in den folgenden Coaching-Gesprächen wieder bilanziert, teilweise neu justiert, einige nochmals verändert. Der Perfektionismus wird auch in seinem biografischen Kontext in der Kindheit betrachtet. Mit der Zeit wird die Klientin gelassener, kann ihren persönlichen Stress abbauen. Die Zusammenarbeit mit ihrem jungen Vorgesetzten gelingt allmählich besser.

Dieser (sehr verkürzt dargestellte) Fall kann als Beispiel für die Situation vieler Berufstätiger dienen. Gerade Lebensübergänge wie der von der mittleren zur älteren Generation sind – nicht allein, aber in besonderem Maße – für Führungskräfte in den mittleren Ebenen  oftmals kritische Phasen. Bereits ihr normaler Arbeitsalltag verlangt immer wieder schwierige Entscheidungen. Er bringt zudem viele Belastungen mit sich. Dazu gehören Verantwortung, Leistungs- und Termindruck sowie die Notwendigkeit, fachliche Anforderungen, Mitarbeiterführung und die Erwartungen der eigenen Vorgesetzten zu synchronisieren. Hinzu kommt der stetige Spagat, berufliche, familiäre und persönliche Ziele in Übereinstimmung zu bringen.

Besonders problematisch ist es, wenn im Arbeitsleben Konflikte zum Dauerzustand werden, oder wenn gar eigene Wertvorstellungen mit den Zielen und Praktiken der Organisation nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Diese Inkohärenzen können in chronischen Stress münden, in manchen Fällen sogar in Burnout-Situationen. Die Anregung der Selbstregulation in Richtung einer stimmigeren Lebensgestaltung kann helfen, Lösungen zu finden, die wieder eine gesündere Entwicklung zulassen.